Benno Högger
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Welche Daten sammelte das Amt für Flüchtlinge in Herisau? Symbolbild
Hat die Beratungsstelle für Flüchtlinge der Gemeinde Herisau Flüchtlinge angewiesen, Informationen über die Familienbegleitung zu sammeln? Diesen Vorwurf erhebt die Organisation «Beratung und Betreuung für Migranten» und erhält vom Ausserrhoder Obergericht Recht. Die Gemeinde zieht das Urteil ans Bundesgericht weiter.
Gerichtsfall Der Vorwurf an die Gemeinde Herisau wiegt schwer: Ihre Beratungsstelle für Flüchtlinge, die im Amt für Soziales angesiedelt ist, soll Familien dazu angehalten haben, Informationen über die Mitarbeitenden der Organisation «Beratung und Betreuung für Migranten» (BBFM) zu sammeln. Diese bietet unter anderem Familienbegleitungen für Familien mit Migrationshintergrund an, wobei diese Massnahme von Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden verfügt wird – so auch von der KESB AR. Gegründet wurde BBFM 2019 von Shahryar Hemmaty, der vor seiner Selbstständigkeit selbst während mehrerer Jahre als Leiter Asylberatung bei der Beratungsstelle für Flüchtlinge der Gemeinde Herisau gearbeitet hat. Nun sagt Hemmaty: «Wir wissen von mindestens drei Familien, die von der Beratungsstelle für Flüchtlinge dazu aufgefordert wurden, über Monate hinweg Daten über unsere Tätigkeit im Rahmen der Familienbegleitung zu sammeln.» Ihre Klienten seien ausserdem angewiesen worden, der BBFM nichts von der Informationssammlung zu erzählen – einer Familie sei sogar gedroht worden, andernfalls würden die Kinder «für ewig fremdplatziert». Gemäss Hemmaty fühlten sich die Familien unter Druck gesetzt sowie seine Mitarbeitenden überwacht, was der Familienbegleitung geschadet und letztlich sogar zu zwei Kündigungen von Mitarbeiterinnen seiner Firma geführt habe.
Zwei der drei Familien seien denn auch nicht bereit gewesen, ihre Aussagen öffentlich zu machen, doch eine Familie händigte der BBFM das Datenblatt aus. Hemmaty sagt, er habe mehrfach versucht, eine gütliche und aussergerichtliche Einigung mit der Gemeinde zu erzielen: «Das hat mich zu mindestens drei direkten Gesprächen mit dem Gemeindepräsidenten und dem Leiter des Sozialamtes geführt. Ich appellierte mit Nachdruck an die Behörden, die Vorgehensweisen eingehend zu überprüfen und adäquat darauf zu reagieren.» Da jegliche Bereitschaft zur Überarbeitung der bestehenden Praxis bedauerlicherweise ausgeblieben sei, habe er sich mit einem anwaltlichen Schreiben an die Gemeinde gewandt und Datenauskunft verlangt. Er fragte bei der Gemeinde nach, auf welcher Rechtsgrundlage und zu welchem Zweck die Datenbeschaffung erfolgt sei und welche Personen zur Berichterstattung aufgefordert worden seien. Die Beratungsstelle für Flüchtlinge hielt in der Folge in einem Schreiben fest: «Von der Beratungsstelle für Flüchtlinge erfolgt keine Datenbearbeitung über die BBFM. Es wurden keine Drittpersonen beauftragt, über Herrn Shahryar Hemmaty, die BBFM GmbH oder deren Mitarbeitende Bericht zu erstatten.» Entsprechend könnten im Datenauskunftsbegehren auch keine Daten ausgehändigt werden. Ein Datenblatt der betroffenen Familie, das der Redaktion vorliegt, zeigt allerdings etwas anderes. In einer Spalte sind neben Datum und Zeit die Namen von Mitarbeitenden der BBFM aufgeführt, dahinter folgt eine Spalte, die mit «Thema/Warum Termin» beschriftet ist.
Hemmaty rekurrierte beim Gemeinderat gegen den Entscheid, keine Einsicht in die Daten zu erhalten und reichte auch das entsprechende Datenblatt ein. Nun erklärte die Beratungsstelle für Flüchtlinge in ihrer Stellungnahme zum Rekurs der BBFM, dabei habe es sich lediglich um eine Organisationshilfe für die Familie gehandelt, da die Eltern geäussert hätten, keinen Überblick über die vielen Termine mit Schule, Ärzten und der sozialpädagogischen Familienbegleitung zu haben. Weshalb dann in einer Spalte die Namen der BBFM-Mitarbeitenden vorgedruckt waren, nicht aber jene der Schulleiter und Ärzte, erklärt die Beratungsstelle für Flüchtlinge nicht. Da der Gemeinderat von Herisau Hemmatys Beschwerde ablehnte, gelangte dieser ans Obergericht. Dieses sieht den Fall anders als der Gemeinderat, wie aus dem Urteil vom 18. Dezember 2023 hervorgeht. «Entgegen der Annahme der Vorinstanz (Red.: Gemeinderat) bildet die Tabelle vom Oktober 2022 durchaus Indiz, dass die Familie M./H. von der verfügenden Behörde (Red.: Beratungsstelle für Flüchtlinge) dazu angehalten worden war, Informationen über die Tätigkeit der Beschwerdeführerin (Red.: BBFM) zu beschaffen», hält das Obergericht in seinem Entscheid fest.
Die vorgedruckten Namen von Mitarbeitenden der BBFM in der Namensspalte würden keinen Sinn ergeben, wenn die Tabelle als blosse Gedankenstütze gedient hätte, schreibt das Gericht weiter: «In Anbetracht dieser Umstände erscheint es nicht glaubhaft, dass es sich beim Formular vom Oktober 2022 bloss um eine Hilfestellung zwecks Organisation von Terminen der betroffenen Familie handelte.» Vielmehr liessen sich aus diesem Formular Informationen über die Arbeitszeiten und Tätigkeiten der Mitarbeitenden von BBFM entnehmen. «Aufgrund der vorgedruckten Betitelung des Formulars bestehen durchaus Hinweise, dass zumindest die Familie M./H. dazu angehalten wurde, der verfügenden Behörde Informationen über die Tätigkeit der Beschwerdeführerin und deren Mitarbeitenden zu beschaffen», heisst es in der Begründung. Entsprechend hätte die Behörde der BBFM Einsicht in die gesammelten Daten gewähren müssen.
In Anbetracht der Umstände könne nicht ausgeschlossen werden, dass noch andere Klienten nebst der Familie M./H. angehalten worden seien, Informationen über die BBFM zu beschaffen. Entsprechend sei die Beratungsstelle für Flüchtlinge anzuweisen, der BBFM «umgehend nach Rechtskraft dieser Verfügung Einsicht in allfällige weitere entsprechende Dokumente zu geben.» Dieses Urteil möchte die Gemeinde Herisau nicht akzeptieren, die den Fall ans Bundesgericht weiterzieht und unter anderem auf einen möglichen grossen Reputationsschaden für die Gemeinde verweist, sollte der Vorwurf der illegalen Datenerhebung bestehen bleiben.
Von den Darlegungen der BBFM GmbH und deren Vertreter nimmt der Gemeinderat Kenntnis. Die BBFM GmbH mit Sitz in Herisau ist eine private Dienstleistungsanbieterin im Bereich Betreuung und Beratung für Migranten. Dass zwischen privaten Anbietern und Vollzugsbehörden unterschiedliche Interessenlagen oder Auslegungen zu Sachverhalten Dritte betreffend aufkommen können, liegt auf der Hand und zeigt die tägliche Arbeit. Im vorliegenden Fall steht das kantonale Datenschutzgesetz im Mittelpunkt, welches von den Beteiligten unterschiedlich ausgelegt und interpretiert wird. Auf Empfehlung des Rechtsdienstes führt die Gemeinde gegen das Einzelrichterurteil des Obergerichtes AR vom 18. Dezember 2023 Beschwerde am Bundesgericht. Bis zum Vorliegen eines abschliessenden Entscheides durch das Bundesgericht ist die Gemeinde gehalten, inhaltlich keine Stellung zu nehmen.
Von Tobias Baumann
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