Julia Buchmann
ist am Schweizer Filmpreis 2025 als beste Schauspielerin nominiert.
Von Links: Anja Tobler, Olcayto Uslu, Marcus Schäfer, Andreas Storm, Fabian Müller
Die Erfolgskomödie «Extrawurst» der deutschen Comedy Autoren Moritz Netenjakob und Dietmar Jacobs wird seit einer Woche am Theater St.Gallen aufgeführt. Das Stück, das während der St.Galler Festspiele auf der Parkbühne vor dem grossen Haus frei Luft aufgeführt wird, regt nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Nachdenken an.
Kultur Nicht nur aufgrund des Namens der Komödie «Extrawurst» ist das Stück wie geschaffen für die Stadt St.Gallen – Heimat der berühmten Olma-Bratwurst – sondern auch wegen seiner Thematik. «Das Stück liefert ein banales Beispiel dafür, wie überall vorkommen kann selbst im Vereinsleben. Es ist ein Stück, das dem Publikum den Spiegel vorhält und zum Nachdenken anregt», sagt Regisseurin Johanna Böckli. Die Komödie, die von Johanna Böckli und Dramaturgin Anja Horst extra auf das St.Galler Publikum angepasst wurde, handelt von einer Mitgliederversammlung des Tennisclubs Gallustal. Rasch bricht unter den Mitgliedern eine Diskussion aus, denn es soll ein neuer, grösserer Grill angeschafft werden. Matthias, der Vize-Vereinsvorsitzende, empfiehlt der Versammlung den luxuriösen XQ3010 anzuschaffen, um den in die Jahre gekommenen Holzkohle-Kugelgrill zu ersetzen. Doch es gibt ein Problem. Erol, einer der besten Tennisspieler im Verein, ist türkischer Abstammung und Moslem. Fleisch vom selben Grill zu essen, wie seine Schweinefleisch essenden Vereinskollegen, möchte er nicht. «Wäre es nicht eine nette Geste, für unsere türkischen Mitglieder einen zweiten Grill anzuschaffen?», fragt Melanie, die Mixed-Doppel-Partnerin von Erol. Einen zweiten Grill, obwohl der Verein bloss ein türkisches Mitglied hat? Das findet auch der Vereinsvorsitzende Hans-Ruedi etwas zu viel des Guten. Und selbst Erol, der keine Umstände bereiten möchte, ist gegen die Anschaffung eines zweiten Grills. Trotzdem bricht schnell eine hitzige Diskussion aus, denn Melanie und ihr Ehemann Patrick setzen sich vehement dafür ein, Erol und seine Familie in den Verein zu integrieren. Es wird argumentiert – manchmal auch beleidigend – und am Ende auch abgestimmt. Das Besondere: Das Publikum schlüpft dabei in die Rolle der restlichen Tennisclubmitglieder und wird während der Vorstellung aufgefordert über die Anschaffung eines zweiten Grills abzustimmen. Diese Abstimmung hat gar einen Einfluss auf den Ausgang des Stücks. Das Ensemble hat sich sowohl auf eine Annahme als auch auf eine Ablehnung vorbereitet.
«Es war eine Herausforderung, das Stück nicht mit zu viel Ernsthaftigkeit zu inszenieren. Denn wenn man die Figuren und deren Argumente zu sehr beim Wort nimmt, geht der Humor verloren. Ich bin froh, dass uns das gelungen ist», sagt Böckli. Als Zuschauerin oder Zuschauer ist man Teil der Inszenierung und von der ersten Minute an voll involviert. Man ist gezwungen, der Diskussion zuzuhören und somit auch, sich selbst Gedanken zu machen, wie man zur Diskussion steht. Man muss sich ständig fragen: Darf ich darüber lachen oder ist das rassistisch? «Die Zuschauenden werden entlarvt. Würde man das Stück allein vor dem Fernseher schauen, würde man vermutlich auch an Stellen lachen, bei denen man im Theater nicht lacht, weil man sich beobachtet fühlt», glaubt Böckli. Das Stück, das mit gerade einmal fünf Darstellern auskommt, zeigt alle Sichtweisen auf, die man zur Thematik haben kann. Dadurch können sich die Zuschauer in den einzelnen Charakteren wieder erkennen. Immer wieder kommt es daher auch vor, dass ein Argument, das man befürwortet, auf einmal lächerlich klingt oder ein Argument der Gegenseite plötzlich Sinn ergibt. «Die Komödie verarbeitet die Schwierigkeit vom Zusammenleben verschiedener Kulturen mit viel Humor und schafft trotzdem ein Bewusstsein dafür, dass wir uns alle im Alltag leider hin und wieder unbemerkt rassistisch verhalten. Es zeigt auf, dass wir eine gute Streitkultur brauchen und dass wir bereit sein müssen, Kompromisse zu finden», so Böckli.
Die Komödie von Moritz Netenjakob und Dietmar Jacobs, zwei bekannte Namen unter den deutschen Comedy-Autoren, die bei Serien wie Stromberg oder Pastewka mitgewirkt haben, hat sich in Deutschland innerhalb kürzester Zeit zum Klassiker entwickelt. «Die Autoren sind zwei ausgezeichnete Beobachter der Gesellschaft. Da Moritz Netenjakobs Frau türkischer Abstammung ist, kennt er sich mit dieser Thematik sehr gut aus. Das merkt man dem Stück an», sagt Böckli und fügt an, «das Geniale ist aus meiner Sicht, dass das Stück nicht mit dem Zeigefinger auf bestimmte Gruppen zeigt, sondern uns versucht, auf humoristische Weise etwas beizubringen.» Ab heute gibt es nochmals sieben Gelegenheiten, das Stück «Extrawurst» am Theater St.Gallen anzuschauen. Die restlichen Aufführungen finden am 19., 20., 23., 25., 26., und 29. Juni sowie dem 1. Juli jeweils um 20.30 Uhr statt.
Selim Jung
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