Denise Hofer
«Verknüpfung» ist eine nachhaltige und verbindende Kunstinstallation.
Ruedi Schatz bei einem Referat. z.V.g.
1979 ertrank der St.Galler Nationalrat, Teilhaber der Bank Wegelin und Bergsteiger Ruedi Schatz bei einer Kanu-Fahrt in der Urnäsch im Alter von 54 Jahren. Als freisinniger Politiker und erfolgreicher Unternehmer trat er nicht für ein grenzenloses Wachstum, sondern auch für einen wirksamen Naturschutz ein.
Alleskönner Ruedi Schatz, der als Sohn eines Postbürochefs vor hundert Jahren geboren wurde, besuchte das Gymnasium an der Kantonsschule St.Gallen und schloss mit der Matura Typus B ab. Als 14-Jähriger trat er den Pfadfindern bei und wirkte dort ab 1947 als Abteilungsleiter, womit schon damals sein Drang zu Abenteuern zu erkennen war. 1945 rückte er in die Rekrutenschule ein. Seine gesamte weitere Dienstpflicht erledigte er als Klassenlehrer in Sommer- und Wintergebirgskursen der Armee. Dabei kam ihm auch die Mitgliedschaft beim Schweizerischen Alpenclub SAC und beim Kletter-Club Alpstein zugute, den er mitbegründete und später während zehn Jahren präsidierte.
1953 nahm er als Mitglied des Akademischen Alpenclubs Zürich an einer Himalaja-Expedition zum Daulaghiri teil. Als Bergsteiger leitete er auch eine Expedition in die peruanischen Anden, die mit 19 teilweise erstbestiegenen Fünf- und Sechstausendern sehr erfolgreich war. Mit Ernst Reiss und Erich Haltiner gelang ihm eine neue Route in der Nordostwand des Gspaltenhorns im Berner Oberland. Zum abenteuerlichen Bergsteigen schrieb Schatz später: «Es ist ein tiefer Drang des Menschen, sich zu bewähren, in Gefahr zu bestehen. Herausforderung und Bewährung bewegen nach Toynbee die Menschheitsgeschichte. Nur in dieser Herausforderung werden alle Kräfte des Menschen wach. Nur wer in Gefahr ist, kann Mut beweisen. Nur wer sich bewährt, kann Selbstvertrauen haben. Das ist auf mannigfache Weise möglich: in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Wirtschaft – aber besonders schön im Bergsteigen.»
Schatz studierte zunächst an der Handelshochschule St.Gallen (heute Universität), um dann an der Universität Zürich Germanistik zu belegen. Seine Dissertation widmete er dem Thema «Schiller und die Mythologie». Es folgten zwei Jahre als Hilfslehrer an der Verkehrsschule St.Gallen. 1953 bis 1955 war er Parteisekretär der FDP. Nach einem Englandaufenthalt wirkte er zwölf Jahre in der Industrie, was sein breites Interessenspektrum belegt. Die unternehmerische Erfahrung nützte ihm auch später als Bankier, nachdem er die Tochter eines früheren Bankteilhabers geheiratet hatte. Zunächst war er Direktionsassistent und Administrativer Direktor der Aare-Tessin AG. 1961 trat er in den Dienst der Gebrüder Bühler AG in Uzwil, 1962 bis 1965 war er Leiter der Filiale Minneapolis und 1965 bis 1968 Mitglied der Geschäftsleitung. 1969 trat er als Teilhaber ins Bankhaus Wegelin & Co. ein, das sich unter seiner Leitung gesund entwickelte. Trotz grosser beruflicher Beanspruchung fand er weiterhin Zeit für die Politik. 1972 wurde er FDP-Kantonalpräsident und wirkte bis 1976 im Kantonsrat. 1975 bis zu seinem tödlichen Unfall 1979 gehörte er dem Nationalrat an. Hier setzte er sich unermüdlich für einen Ausgleich zwischen Wirtschaftsordnung und Umweltschutz ein, was allerdings nicht alle seine Parteikollegen goutierten. Von 1970 bis zu seinem Tod war er auch Präsident des Handels- und Industrievereins St.Gallen.
Weitsichtig warnte Schatz vor einem übertriebenen Expansionsdrang einzelner Banken, die den Erfolg à tout prix suchten, weil im rasch expandierenden Geschäft die Kontrolle weit schwieriger werde: «Es ist besser, unsere staatlichen Bankaufsichtsorgane üben eine strenge Kontrolle über private Banken aus, als dass der Staat sich selbst beaufsichtigt (…) Für jede gutgeführte Bank ist nichts wichtiger, als das Vertrauen der Kunden und Behörden zu erhalten, sonst kann sie ihre Schalter schliessen.» Leider wurde seinen Intentionen bis heute immer wieder nicht nachgelebt, auch später nicht in seiner Bank. Schatz propagierte darüber hinaus ein Bewusstseinswandel zum qualitativen Wirtschaftsdenken: «Der persönlichen Freiheit müssen weite, aber klare Grenzen gezogen werden. Eine Grenze menschlicher Freiheit ist das Recht kommender Generationen. Es verlangt von uns die Gewährleistung eines intakten Lebensraumes für alle Zukunft.» Schon vor 60 Jahren sah Schatz ein Problem, das sich inzwischen stark verschärft hat: «Der Zeitgeist glaubt an das unbeschränkte Recht jedes Individuums, sich egoistisch voll auszuleben und gibt jedem Individuum das Recht dazu, was zu unlösbaren Konflikten führt.» Ansätze zu einer Lösung fand Schatz in einer neuen Elite, die zu disziplinieren versteht, in einer demokratischen Elite, «die führen und verzichten kann, die Ansprüche an sich und deshalb auch an andere zu stellen vermag.»
Was bei etlichen Kontakten mit Schatz immer beeindruckte, war sein Verständnis für die Anliegen der breiten Bevölkerung. Er war trotz seines beruflichen Wirkens auf der Teppichetage seiner Bank nahe am Puls des Volkes. Als Mitglied der Bezirkskommission Pro Juventute erlebte der Schreibende, wie Schatz diese mit Umsicht präsidierte. Es fiel auf, wie sehr ihm das Wohlergehen der ärmeren Bevölkerung und der Kinder ein Herzensanliegen war, wie sehr er aber auch ein organisatorisches Talent besass. Gerne veröffentlichte der Schreibende im «Gross-Anzeiger» seine Kolumnen, in denen er es verstand, nicht nur politische, sondern auch philosophische Gedanken verständlich darzulegen. So erzeugte er auch ein grosses Echo beim Publikum. Beim regelmässigen gemeinsamen Apéro im «Hecht» wies er immer wieder darauf hin, wie wichtig es ihm erschien, die «Volksseele» zu spüren und im Nationalrat zu vertreten, ohne seine freiheitliche Grundeinstellung zu verlassen.
Ruedi Schatz wagte auch zu philosophieren. Er philosophierte vor Leuten, die sich sonst eine ganz andere Sprache gewohnt waren: Vor Leserinnen und Lesern einer Gratiszeitung, vor Wirtschaftsfachleuten, vor Bergsteigern, vor Mitgliedern des St.Galler Rotary-Clubs. Zwei Tage vor seinem Tod hielt er einen Vortrag zur Zukunft in der damaligen problemreichen Zeit, der zu seinem geistigen Vermächtnis geworden war: «Die Zukunft ist sehr dunkel. Es bleibt uns letzten Endes nur ein Weg: selbst so gut als möglich zu versuchen, jenem Bild des Menschen zu entsprechen, das wir in guten Stunden von ihm machen. Das ist die Aufgabe jedes Einzelnen. Wenn sich genügend dazu zusammenfinden, mögen die andern vielleiht folgen. Eine andere Lösung gibt es nicht (…) Was uns bleibt, ist eine Hoffnung trotz allem. Es bleibt uns Spittelers Wort: ‘Mein Herz heisst: dennoch`. Ich bin aus fiefstem Herzen ein Optimist. Die Welt ist mir lieb. Ich erlebe den Wind in den Bäumen, das frische Grün des Grases, die Reinheit des Schnees, die Weite und Grösse und das Wunderbare dieser Erde, die noch immer so schön ist. (…) Es ist nicht damit getan, auf Gott zu setzen und nichts zu tun. Keine Religion hat uns die Lösung der Probleme dieser Erde versprochen. Wir können und sollen glauben, dass uns aufgetragen wurde, die Probleme zu lösen und auch die Fähigkeit dazu.»
Von Franz Welte
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