«Ich schneide Haare, das Geschlecht spielt keine Rolle»

Gleichstellung «Eine Kundin von mir mit kurzen Haaren hat mich einmal gefragt, weshalb sie eigentlich 22 Franken mehr bezahlen muss als ihr Mann, obwohl sie praktisch denselben Haarschnitt habe. Ich wusste nicht, was ich ihr antworten sollte», erzählt Olivia Schmuki, Inhaberin des Coiffeursalons Haargruss in Gossau. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, seitdem sie ihren Coiffeursalon Haargruss eröffnet und sich selbständig gemacht hat. Die Problematik mit den Damen- und Herrentarifen seien ihr zwar schon davor bekannt gewesen, doch als Angestellte hätte sie sich darüber nie Gedanken machen müssen. Jetzt hat sich das geändert.

Preise aus einer anderen Zeit

«Ich realisierte, dass meine Preise gegenüber meinen Kundinnen unfair sind und es keine guten Argumente dafür gibt, an diesem veralteten Preismodell festzuhalten. Wenn der Zeitaufwand derselbe ist, sollte auch der Preis gleich sein», so Schmuki. Neuerdings berechnet sie die Preise also nach der Haarlänge. Kundinnen und Kunden könne auf ihrer Webseite nachschlagen, welche Haarlänge auf sie zutrifft und buchen dann nach den entsprechenden Tarifen. Für einen kurzen Trockenhaarschnitt bis zu den Ohren bezahlen neuerdings also sowohl Frauen als auch Männer 60 Franken. «Ich glaube, unsere Industrie hat den Absprung verpasst», sagt Schmuki und fährt fort: «Das alte Preismodell stammt aus einer Zeit, in der die Männer noch alle den gleichen Kurzhaarschnitt hatten. Damals machte das Preismodell Sinn, denn ein Herrenschnitt war deutlich weniger zeitaufwändig als ein Damenhaarschnitt.» Heute sehe das anders aus. Heute habe Schmuki viele Kundinnen mit Kurzhaarfrisuren und Männer hätten ebenfalls lange Haare und wollten aufwändige Frisuren. Grundsätzlich sassen Frauen früher länger beim Coiffeur. Dies liegt am Waschen und Legen, wobei das Haar auf Wickler gedreht und unter der Trockenhaube für 30 Minuten getrocknet wird. Eine Föhntechnik, die heute kaum noch angewendet wird. Am Ende zählt für Schmuki der Aufwand, den sie mit einem Haarschnitt hat. «Ich schneide Haare, das Geschlecht spielt keine Rolle», so Schmuki.

Keine Nachahmer in Gossau

Schmukis Ansichten teilen in Gossau nur wenige ihrer Berufskollegen. Bis anhin ist sie der einzige Salon, der seine Preise offiziell nicht mehr nach Geschlecht, sondern nach Haarlänge einteilt. Zwar gibt es vereinzelt Coiffeursalons, die bei gewissen Dienstleistungen oder nach Vereinbarung ebenfalls keine Preisunterschiede zwischen den Geschlechtern machen, in einem offiziellen Preiskatalog ist dies allerdings bei keinem anderen Salon festgelegt. Nur vereinzelte Coiffeursalons in Gossau ziehen auf Anfrage einen Wechsel zu einem neuen Preismodell nach Haarlänge in Erwägung. Von den 14 angefragten Salons kommt ein Wechsel für vier Salons nicht in Frage, neun wollten zu diesem Thema keine Stellung beziehen. Einzig Sara Lupo von Salone Lupo zeigt sich der Idee gegenüber offen, äussert allerdings auch Bedenken: «Ein solches Preismodell könnte dazu beitragen eine gerechtere Abrechnung in Friseursalons zu ermöglichen. Allerdings könnte die Schwierigkeit darin bestehen, die Zustimmung der Kunden zu gewinnen, insbesondere wenn die Debatte höhere Preise für Männer einschliesst», so Lupo. Zwar spiegle dieses neue Preismodell die individuellen Bedürfnisse der Kunden besser wider, allerdings seien damit echte Herausforderungen verbunden. «Wenn man die Preise für Frauen senken will, gleichzeitig die Preise für Männer aber nicht erhöhen kann, könnte das die Branche gefährden. Die Kunden könnten zurückhaltend sein, höhere Preise zu akzeptieren», so Lupo.

Selim Jung