Julia Buchmann
ist am Schweizer Filmpreis 2025 als beste Schauspielerin nominiert.
Die Zukunft der Kirche St.Leonhard bleibt ungewiss. A.Savin, WikiCommons
Vor 20 Jahren ist die reformierte Kirche St.Leonhard in St.Gallen für eine künftige kulturelle Nutzung verkauft worden. Ausser einer Musical-Aufführung (Sister Act), einem Grossbrand mit einem Schaden von mehreren Millionen Franken, der Wiederrichtung des Dachstuhls und einem Brauerei-Silvester ist seither nichts passiert. Auf mehrmalige Anfragen zur Zukunft seines Objekts reagierte der jetzige Besitzer nicht.
Kirchengeschichte Aus einem Kreis mehrerer Interessenten bekam vor zwanzig Jahren der Winterthurer Architekt Giovanni Cerfeda den Zuschlag. Die Stimmbürger der Kirchgemeinde St.Gallen Centrum billigten den Verkauf der renovierungsbedürftigen Kirche für 40'000 Franken. Bevor eine Renovierung in Angriff genommen werden konnte, brannte der Dachstock der Kirche Ende 2007 vollständig aus. Ursache des Feuers waren gemäss den Untersuchungsbehörden Dachdeckerarbeiten, bei denen ein Mottbrand entstand. Bis 2010 bestand ein Notdach. Wohl mit den Versicherungsgeldern konnte das Dach saniert werden. Dieses präsentiert sich heute mit den ursprünglichen Dachziegel-Mustern.
Vor zehn Jahren liess Cerfeda wissen, dass die Realisierung eines Kultur- und Eventzentrums weiterhin im Fokus bleibe. Er plane keinen Umbau der Kirche, aber eine Unterkellerung zur Unterbringung von Infrastruktureinrichtungen, eine Bühne und einen Kirchenplatz samt Mauer für Wochenmärkte und Apéros. Zudem sei die Erstellung einer Zufahrt erforderlich. Doch die Baubewilligungsbehörde der Stadt erklärte, dass ein solches Projekt nicht bewilligt werden könnte, es widerspreche den Rahmenbedingungen. Die Pläne wurden auch von der Denkmalpflege als nicht umsetzbar zurückgewiesen.
Die in St.Gallen aufgewachsene Pfarrerin Andrea Weinhold wollte die Kirche 2017 zurückkaufen, um sie der einheimischen Bevölkerung wieder zugänglich zu machen. Ihr schwebten Malprojekte, Schreibwerkstätten, Konzerte und ähnliche Anlässe vor. Doch der Kirchenrat winkte ab, das Projekt sei unrealistisch, zu teuer und angesichts weiterer schlechtgenutzter Räumlichkeiten anachronistisch. Auch Cerfeda liess sie wissen, dass ein Verkauf derzeit kein Thema sei. 2021 war von einem letzten Ostklang-Live-Stream aus der Kirche die Rede, die in der Werbung von «Unsere Beweggründe» als Event- und Kulturzentrum bezeichnet wurde. Als unrühmliches Beispiel des Verkaufs einer Kirche an eine Privatperson wurde 2017 St.Leonhard von Kunsthistoriker Johannes Stickelberger am Zweiten Schweizer Kirchenbautag zum Thema Kirchenumnutzungen an der Universität Bern genannt. Die Kirchgemeinde habe es versäumt, vom Käufer eine Machbarkeitsstudie und ein Nutzungskonzept zu verlangen.
Schon um 1980 begannen sich Veränderungen in der Kirchennutzung abzuzeichnen. Die Zahl der Kirchenbürger schrumpfte markant. Ab 1995 fanden keine Gottesdienste mehr statt. Zwei Jahre später wurde das ökumenische Projekt «Offene Kirche St.Leonhard» gestartet. Es wurden Musicals aufgeführt. Die Kirche galt inzwischen als baufällig und es wurde nur noch eine provisorische Bewilligung erteilt. Im Herbst 2004 liess sie die Kirchgemeinde St.Gallen Centrum als Besitzerin schliesslich zum Verkauf ausschreiben.
Es ist kein Zufall, dass das St.Leonhardquartier innerhalb von wenigen Monaten 1887 eine stattliche Kirche und ein geräumiges Schulhaus einweihen konnte. Diese Neuerungen hingen mit dem damals starken Bevölkerungswachstum in der Blütezeit der Stickereiindustrie zusammen. Das 1470 erbaute Kirchlein, westlich der heutigen Kirche gelegen, mochte schon lange nicht mehr zu genügen. Die Finanzierung eines Neubaus hatte der Kaufmann Eduard Nef-Weyermann mit einer Vergabung von 40'000 Franken und einer Kollekte unter Quartierbewohnern eingeleitet. 1884 bewilligte die Gemeinde das Neubauprojekt mit 990 Sitzplätzen des im Quartier wohnhaften Architekten Ferdinand Wachter. Es handelt sich um den ersten neugotischen Kirchenbau im Kanton, der aus 56 eingereichten Projekten ausgewählt wurde. Erstmals wurde ein sakraler Bau in den Fluchtpunkt einer gradlinigen Strassenachse (St.Leonhardstrasse) gestellt. So stellt der markante Turm städtebaulichen Akzent und Endpunkt an eine der damals wichtigsten Strassen, wie Peter Röllin in seinem Buch «St.Gallen. Stadtveränderung und Stadterlebnis im 19. Jahrhundert» schrieb.
1931 bewilligte die Kirchgemeinde trotz der Wirtschaftskrise die Anschaffung einer neuen Orgel und eine damit zusammenhängende Innenrenovierung. Als Gewinn konnten die von August Wanner geschaffenen Chorfenster betrachtet werden. Schon zum hundertjährigen Bestehen der Kirche schrieb Jürg Bachmann, damals Präsident der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde C, in der Jubiläumsschrift, die Kirche stehe vor einer ungewissen Zukunft. Der bauliche Zustand der Kirche sei wenig zufriedenstellend und es werde über strassenbauliche Veränderungen im Quartier gesprochen. Die Kirche litt nicht nur unter schwindendem Zulauf der Gläubigen aus dem Quartier, sondern auch unter dem Bau und Ausbau anderer Quartierkirchen.
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