Markus Buschor
Trotz Überprüfung der «Public Library» steht der Stadtrat hinter dem Projekt.
So kann man sich das Singen der Kinder am Singobed im Biedermeier vorstellen. Gemälde von Ferdinand Georg Waldmüller. z.V.g.
Der Name Singobed für den Silvester ist auf den alten Brauch zurückzuführen, dass am Abend allerlei Leute vom Land in die Stadt kamen, um vor den Häusern, wo sie ein Geschenk erwarten konnten, zu singen. Mitunter gingen auch Kinder aus der Stadt von Türe zu Türe, um in Erwartung eines Geschenkes zu singen.
Silvester Meist gab es als Geschenk Münzen. Diese wickelten die Schenkenden in ein Papier ein, zündenten es an und warfen es den Singenden gewissermassen als Dank zu. Wie in der Familie von Professor Peter Scheitlin (1779 bis 1848), dem herausragenden Kulturförderer der Stadt, der «Singobed» durch die erste Hälfte des 19.Jahrhunderts gefeiert wurde, hielt sein Sohn, der Buchhändler Carl Peter Scheitlin, in seinen Erinnerungen fest. Einige Tage vor Silvester wurde in der Familie «gebiberlet». Die Mutter erstellte unter Mithilfe der Kinder Biberli, aber auch Apfelkrapfen und -torten. Der Silvester selbst begann mit der Feststellung des «Nestblötterligs», des Kindes, das zuletzt aufgestanden war. Es wurde kurz zur Zielscheibe des Spottes. Dann aber stand das Singobed-Sprüchlein im Vordergrund: «Singobed, Singobed, schlag d’Stobetör zue, d’Pastete sönd bache ond d’Schöblig dezue!» Das eigentliche Familienfest nahm dann abends um sechs Uhr seinen Anfang. Ein Glöckchen rief die Kinder in die Studierstube des Vaters, die zum Festraum erhoben wurde. Alle acht Kinder hatten sich dem Alter nach aufzustellen und ihre Sprüche aufzusagen. Die Mutter durfte den Kleinen helfen, wenn sie stecken blieben, von den Grösseren wurde aber ein Aufsagen ohne Pausen erwartet. Mit Versen versorgte die Familien in der Stadt der sogenannte «lebdige Diligence», der in den Gassen Gedichtbüchlein und -blätter sowie Kalender zum neuen Jahr verkaufte. Im Wohnzimmer vollzog sich dann das «Grüscheln». Ein grosses Becken voll «Grüsch» wurde aufgetragen und der Familienvater steckte Münzen in den Haufen. Aus dem Haufen wurde eine Wurst gemacht und den Spielenden in Stücken verteilt. Jeder suchte nach den Münzen und begrüsste jeden Fund mit Lärm. Dann schritt man zum Festessen, das sich deutlich abhob vom einfachen Essen des Alltags. Die ältesten Kinder durften aufbleiben und den Jahreswechsel am Familientisch abwarten. Das neue Jahr wurde mit fröhlichem Gläserklang begrüsst. Die Mutter rückte mit Nusswasser eigener Produktion an. Etwa um drei Uhr früh tauchte vor dem Haus der Nachtwächter auf und wartete mit einem Spruch auf, den Professor Scheitlin verfasst hatte. Dankend nahm er Nusswasser und Biberli entgegen und setzte seinen Weg zu vielen anderen Familien fort. Nicht nur bei Scheitlins, auch in allen anderen Familien wurde der Singabend gemeinsam gefeiert, wie Georg Leonhard Hartmann in seiner «Geschichte der Stadt Gallen» festhielt.
Den Singobed beschrieb sehr anschaulich in Mundart auch Frida Hilty-Gröbly im letzten Kapitel ihres Buches «Am aalte Maartplatz z Sant Galle» von 1951. Auch sie berichtet vom Verseaufsagen in der Familie. Die Grossmutter der Autorin erinnert sich: «Jo gwöss, i cha mer no guet vorstelle, wie mer anere lange Zilete gstande send, wie Oorglepfiffe, dr Grössi noo, und wie n eim denn de Grossvatter zwöschet d Chnüü gnoo hät, wemme n a d Reie choo ischt, zum de greimt Glöckwuntsch ufsäge.» Die Stadtmusik spielte in der Marktgasse auf, die damals offensichtlich das Singen ersetzt hatte.
Aufgetragen wurde eine Bürgerpastete, die es wie auch in den meisten anderen Familien nur am Singobed gab. Das Innere unter dem Blätterteigmantel wird so beschrieben: «I dr Mitti liit en grosse Bölle und ringsom send Nägeli in en inegsteckt. Drom ome häts Chalbsvorässe und Bräätchügeli.» Glühwein wurde ausgeschenkt, die Kinder erhielten ein halbes Glas. Guetzli und Biberli gab es in Hülle und Fülle.
Vielfach wurden die Kinder nicht an Weihnachten, sondern am Singobed oder am Neujahrstag beschenkt. Dies ging aber nicht ohne beschränkende Vorschriften der Obrigkeit, wie Ernst Ziegler in seinem Büchlein «Weihnachten und Neujahr im alten St.Gallen» aufzeigte. Im grossen Mandat von 1611 wurde geregelt, dass fortan nur noch Väter und Mütter ihren Kindern, Grossväter und Grossmütter ihren Enkeln und Gevattern und Gevatterinnen ihren Taufkindern Neujahrsgaben verteilen durften. Allen anderen Personen wurde das Schenken bei Busse verboten. Sogar die Art der Neujahrsgaben wurde vorgeschrieben. Neben einer beschränkten Zahl von Münzen waren nur Biber, Pfilen-Brot (längliches Brot aus feinstem Mehl) oder «gemeines Brot» zugelassen.
Lange herrschte der Brauch vor, dass im Anschluss an den «Singobed» am Neujahrstag Wächter und Turmbläser ebenfalls von Tür zu Tür gingen, um Almosen zu bekommen. Wie in vielen anderen Belangen regelte der Rat das «Neujahrssammeln». 1785 verkündete er Vorschriften, weil andere Berufsgruppen begonnen hatten, Almosen einzusammeln, was ihnen verboten wurde. Ab 1834 war das «Neujahrssammeln» nur noch den Nachtwächtern gestattet, weil sie in besonderem Masse dem Wetter ausgesetzt waren. Doch der Brauch, zum Jahreswechsel auch die Polizei zu beschenken, blieb bis in die neueste Zeit in St.Gallen erhalten. Als auf der Kreuzung Rorschacher Strasse/Burggraben/Torstrasse noch eine Kanzel für die Verkehrspolizisten stand, türmten sich dort auf den Jahreswechsel hin die Gaben auf, Weinflaschen, Biber, Schokolade und sogar ganze Früchtekörbe.
Von Franz Welte
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