Markus Buschor
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Lothar Rothschild. z.V.g.
Lothar Rothschild (1909 bis 1974) gehörte zu den bedeutendsten liberalen Rabbinern des deutschsprachigen Judentums nach dem Zweiten Weltkrieg. In St.Gallen wirkte er von 1943 bis 1968. Er schuf ein reiches publizistisches Lebenswerk. Unentwegt setzte er sich für ein besseres Verständnis des Judentums ein.
Rabbiner Lothar Rothschild wuchs in Basel auf und studierte an der dortigen Universität Geschichte. Er verfasste eine Studie zur Geschichte der Juden in der Schweiz. Seinen Rabbiner-Titel erhielt er am Breslauer Seminar. Seine Dissertation «Johann Caspar Ulrich von Zürich und seine Sammlung jüdischer Geschichten in der Schweiz» von 1933 wurde in die Reihe «Schweizer Studien zur Geschichtswissenschaft» aufgenommen. Seinen ersten Posten als Rabbiner trat er in Saarbrücken an. Anschliessend kehrte er nach Basel zurück, wo er von 1938 bis 1943 bei der Flüchtlingsfürsorge des Verbandes Schweizerischer Israelitischer Armenpflege wirkte.
Hierauf begann er seine Tätigkeit als Rabbiner in St.Gallen. Er wandte sich intensiv den Nöten der aufgenommenen jüdischen Flüchtlinge zu und setzte sich als einer der ganz wenigen auch für den erst spät rehabilitierten Polizeihauptmann Grüninger ein, nachdem dieser nach dem Zweiten Weltkrieg in Existenznot geraten war. Rothschild war als Referent und Gastprediger auch in Deutschland und in Österreich sehr gefragt. Gross war auch sein Einsatz für den jüdisch-christlichen Dialog, unter anderem auch mit Vorlesungen an der Hochschule (heute Universität) St.Gallen. Daneben redigierte er die Zeitschrift «Tradition und Erneuerung», in der er mit Gleichgesinnten das Judentum als «wohl eine formenfreudige, aber undogmatische Religion» darstellte. 1968 trat er aus gesundheitlichen Gründen als Rabbiner zurück, um sich voll seinen wissenschaftlichen Projekten und Lehraufträgen wie auch der Pflege seiner vielseitigen Kontakte zu widmen.
Hermann J. Schmelzer, sein Nachfolger als Rabbiner in St.Gallen, charakterisierte ihn so: «Wer ihm begegnete, war sofort gefesselt vom Charme seiner Persönlichkeit. Er strahlte eine Verbindung von nobler Haltung und Liebenswürdigkeit, Höflichkeit und weltmännischem Weitblick aus. Im Gespräch fielen die Beweglichkeit seines Geistes und seine umfassende Bildung auf.»
Rothschild setzte sich unablässig für ein liberales Judentum ein. Liberal bedeutete für ihn die Haltung der Offenheit, der Bruch mit der Starrheit unbewegter Tradition. Auffällig ist bei ihm die Parallele zwischen moderner jüdischer und christlicher Theologie. Etliche Abhandlungen widmete er den Kämpfen um die Judenemanzipation in der Schweiz. Energisch setzte er sich in seinen Vorträgen für eine die religiösen Schranken überwindende Gemeinsamkeit von Juden und Christen ein.
Befriedigt stellte Rothschild in späteren Jahren fest, dass sich in der Schweiz die Juden und Christen sehr viel nähergekommen sind, besonders in St.Gallen: «Die Zusammenarbeit zwischen Christen und Juden und die Aufklärung über jüdisches Denken und jüdische Religiosität hat in St.Gallen erfreuliche Formen angenommen. Neben den Veranstaltungen der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft mehren sich die Synagogenführungen für kirchliche und weltliche Vereine sowie für Schulklassen, Konfirmandengruppen und kirchliche Jugendgemeinschaften, so dass das Verständnis für den jüdischen Kultus vor allem bei der nichtjüdischen Jugend gefördert wird.» Gleichwohl ist manchen der Geist des Judentums fremdgeblieben, was er in Gesprächen immer wieder feststellen musste. Dann hat Rothschild immer die Chance genutzt, aufklärend zu wirken. In der Bekämpfung des Antisemitismus gab sich Rothschild diplomatisch. Geflissentlich vermied er es, Eskalationen heraufzubeschwören, und blieb bei Forderungen an die Behörden zurückhaltend.
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