Wenn Forstarbeit die Gemüter beruhigt

Gemeinnütziges In einem Waldstück in Abtwil nahe dem Gründenmoos knacken die Holzscheite in der Spaltmaschine. Männer und Frauen in leuchtenden Forstanzügen spalten Holz und tragen die Scheite zur Scheiterbeige. Auf den ersten Blick sieht alles nach klassischer Forstarbeit aus, doch der Schein trügt. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die hier Holz spalten und hin und her schleppen, sind Menschen mit Wahrnehmungsstörungen, Autismus und Asperger-Syndrom. «Menschen mit Wahrnehmungsstörungen haben viel Energie und Einsatzwille, brauchen jedoch Begleitung, wenn sie körperliche Arbeit verrichten. Es ist wesentlich, dass man diesen Menschen diese Möglichkeit bietet, denn es verleiht Selbstwertgefühl, wenn man etwas leisten kann», so Patrick Müller, Vorsitzender der Geschäftsleitung der GHG. Eine sinnvolle Arbeit im Wald: Das bietet das Outdoor-Angebot des GHG Sonnenhalde Tandem. Vom Angebot profitieren nicht nur Menschen mit Wahrnehmungsstörungen, sondern auch die regionalen Förster, die Öffentlichkeit und die Brennholzkunden.

Angebot seit Jahresanfang 2023 ausgebaut

Das Forstprojekt entstand durch Zufall, erklärt Martin Keller, Leiter des Bereichs Tandem: «Eine unserer Klientinnen lernte in der Pfadi die Tochter des Revierförsters kennen. Nach einigen Gesprächen wurde beiden schnell klar, dass man ein gemeinsames Projekt starten möchte, bei dem die Klienten in der Natur arbeiten können.» Die Mitarbeitenden können den gesamten Wertschöpfungsprozess der Brennholzverarbeitung miterleben. Zwar können sie selbst keine Kettensägen bedienen, doch sie Spalten Holz mit der Spaltmaschine, trocknen und lagern das Holz, und liefern es schlussendlich auch an die Brennholzkunden aus. «Die Holzauslieferung ist immer etwas Besonderes, denn dort kommen die Mitarbeitenden direkt mit den Kundinnen und Kunden in Kontakt. Manchmal gibt es auch noch etwas zu trinken. Das finden sie immer besonders toll», erzählt Keller. Das Tandem-Team trifft sich jährlich mit dem zuständigen Revierförster, um Ziele und Massnahmen zu besprechen. Derzeit konzentrieren sich die Arbeiten auf das Aufräumen und Verarbeiten von Naturholz, Stammholz und Astholz zu Brennholz. Das herumliegende Kleinholz wird von den Tandem-Mitarbeitenden zu Haufen aufgestapelt, die kleinen Waldbewohnern wie Füchsen, Hasen, Vögel oder Dachsen als Nistplätze dienen und ihren Lebensraum bereichern. Ohne die Arbeit des Tandems würde das Kleinholz geschreddert werden. Somit trägt das Tandem-Team auch zur nachhaltigen Nutzung des Waldes bei. Das Outdoor-Angebot, das mittlerweile seit mehr als zwölf Jahren existiert, wurde Ende 2022 weiter ausgebaut. Neu gehen die Klienten nicht mehr nur an drei, sondern an fünf Tagen in der Woche in den Wald. Dies, weil ein anderes Betreuungsangebot weggefallen ist. «Wir hatten eine langjährige Zusammenarbeit mit einem Heilpädagogen aus der Region.  Er ermöglichte auf seinem Bauernhof für biologischen Obst- und Gemüseanbau fünf Klienten unter Anleitung alltägliche und lebenspraktische Tätigkeiten. Leider musste er das Angebot aus gesundheitlichen Gründen einstellen», erklärt Keller.

Der Wald beruhigt

Von Montag bis Freitag gehen jeden Tag vier weitere Klienten im Wald arbeiten. Dabei werden sie einerseits von Mitarbeitenden der GHG Sonnenhalde, andererseits von Forstwart und Arbeitsagoge Ramun Hess beaufsichtigt und unterstützt. «Für mich ist es ein absoluter Glücksfall, dass ich hier mit diesen Menschen in der Natur arbeiten kann. Ich habe Forstwart gelernt und danach noch eine Ausbildung zum Arbeitsagogen gemacht. Hier kann ich diese beiden Ausbildungen perfekt verbinden», so Hess. Ohne Betreuung würde das Projekt nicht funktionieren, denn die Bedienung der Spaltmaschine und des neuen Raupenfahrzeugs wäre ohne Aufsicht zu gefährlich. Trotzdem leisten die Menschen mit ihrer körperlichen Arbeit einen wertvollen Beitrag. «Besonders wertvoll ist für sie die Abwechslung und der Kontakt mit anderen. Hier kommen häufig Spaziergänger vorbei, mit denen wir uns austauschen können. Das ist nicht nur gut für sie, sondern auch für die Passanten. Sie können bei uns sehen, dass Menschen mit Wahrnehmungsstörungen durchaus in der Lage sind, körperliche Arbeiten zu verrichten und einen Beitrag zu leisten», so Hess. In der Natur sind die Klienten weniger hektisch, lachen mehr, suchen Körperkontakt und werden ruhiger. In der Pause sitzen die Mitarbeitenden gemeinsam im selbst renovierten Bauwagen – ein Geschenk des Round Table Clubs St.Gallen – gemütlich und still beisammen, trinken einen Schluck Coca-Cola und essen ein paar Kekse. «Unter normalen Umständen ist es nicht möglich, so ruhig zusammenzusitzen. Doch hier draussen im Wald geht das. Die Natur beruhigt sie und hilft ihnen, Reize zu verarbeiten», sagt Keller.

Nachfrage steigt

Allgemein ist das Betreuungs- und Arbeitsangebot des Tandems momentan sehr gefragt. Deswegen soll es in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden. «Wir haben bereits eine Liste mit Interessentinnen und Interessenten und die Nachfrage ist weiter steigend, weshalb ein Ausbau zwingend notwendig ist. Geplant ist, bis voraussichtlich 2026 oder 2027 sechs neue stationäre Betreuungsplätze anbieten zu können», sagt Müller. Zurzeit bietet die der Bereich Tandem 18 Betreuungsplätze mit integrierter Tagesstruktur, bei der die Leute sowohl bei der GHG wohnen als auch arbeiten. Zudem werden fünf weitere, externe Betreuungsplätze angeboten. Diese Leute wohnen nach wie vor bei ihren Angehörigen und arbeiten lediglich bei der GHG. «Der Bedarf ist gross. Viele der Anfragen kommen auch von ausserhalb des Kantons. Einerseits freut uns das, da wir auf dem Gebiet Experten sind und gerne helfen wollen. Andererseits sind uns ein Stück weit auch die Hände gebunden, da wir zuerst die Anfragen aus dem Kanton St.Gallen bearbeiten müssen. Diese haben Priorität», so Keller.

Das Brennholz der GHG Sonnenhalde kann zu fairen Preisen beim Tandem bezogen werden. Weitere Informationen dazu finden Sie unter: ghg-sonnenhalde-tandem.ch/holzverkauf/.

Selim Jung