Markus Buschor
Trotz Überprüfung der «Public Library» steht der Stadtrat hinter dem Projekt.
Seit 20 Jahren können Armutsbetroffene über "Tischlein deck dich" Lebensmittel beziehen.
Sarah lebt von einer IV-Rente und Ergänzungsleistungen. Trotz finanzieller Einschränkungen hält sie eine positive Einstellung. Dank «Tischlein deck dich» kann sie sich kleine Extras leisten. Doch ihr Wunsch nach mehr Miteinander bleibt.
Armut Sarah steht in der Schlange vor der Ausgabestelle von «Tischlein deck dich». Der Wind zieht kalt, doch sie hält den Kragen ihrer Jacke fest umschlungen. Vor ihr tauschen zwei ältere Frauen ein paar Sätze, aber Sarah bleibt still, konzentriert auf die grosse Kiste mit Gemüse und Konserven, die gleich vor ihr stehen wird. Als sie endlich an der Reihe ist, lächelt sie die Helferin höflich an und nimmt dankbar die Tüte mit Äpfeln und Brot entgegen. Ein kleiner Lichtblick für die kommende Woche.
Mit wenig Geld zu leben, bedeutet für Sarah (30) viele Einschränkungen. Spontan einen Kaffee trinken gehen oder Freunde in einer Beiz treffen – das liegt nicht drin. Sie muss genau planen, wofür sie ihr Geld ausgibt. Aufgrund einer Lernbehinderung und einer durch mehrere Schicksalsschläge ausgelöste psychische Beeinträchtigung erhält sie eine IV-Rente und Ergänzungsleistungen. Doch diese reichen gerade für die Lebenshaltungskosten wie Essen, Wohnnebenkosten, Strom und Versicherungen. Miete und Krankenkasse sind gedeckt, aber am Ende des Monats bleibt kaum etwas übrig. «Manchmal gönne ich mir Bastelmaterial», erzählt sie.
Eine wichtige Entlastung erfährt Sarah durch die Organisation «Tischlein deck dich», die überschüssige Lebensmittel verteilt. Vor allem Gemüse, Früchte und haltbare Konserven helfen ihr, die Haushaltskasse zu schonen. Kontakte zu anderen hat sie dort eher weniger geknüpft: «Man kennt sich, tauscht manchmal Artikel, aber mehr auch nicht.» Mit dem gesparten Geld kann sie sich hin und wieder kleine Extras leisten, wie eine Bratwurst auf dem Jahrmarkt, einen Ausflug in der Schweiz mit der Gemeindetageskarte oder wie im letzten Jahr, einen einwöchigen Last-minute-Urlaub in Ägypten.
Trotz der Herausforderungen bleibt Sarah optimistisch. «Es gibt Menschen, die in viel schwierigeren Situationen leben», sagt sie. «Ich bin dankbar, in einem friedlichen Land zu leben, in dem ich nicht an Leib und Leben bedroht bin, und in einer Wohnung mit fliessendem Wasser und funktionierender Heizung zu wohnen.» Sarah lebt im Hier und Jetzt, nimmt die Dinge wie sie kommen und versucht, stets das Positive zu sehen. Ihre positive Einstellung verdankt sie auch ihrer Mutter, die starb, als Sarah 17 Jahre alt war und ihr diese Lebenshaltung mit auf den Weg gegeben hat. «Schwimmen, laufen, basteln und im Garten arbeiten helfen mir, wenn ein Tag einmal düster ist.» Auch ihre Freundschaften sind trotz der finanziellen Engpässe tief und verlässlich.
Die Sorge, nicht genug zu essen zu haben, kennt Sarah. Doch sie plant voraus, hält stets Vorräte und nutzt günstige Einkaufsangebote wie den Caritasmarkt oder «Too good to go». Beim Einkauf achtet sie auf Aktionen und greift oft vor Ladenschluss zu, wenn gewisse Artikel zum halben Preis angeboten werden. Für sie ist es wichtig, die vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen und dankbar zu sein. «Wir in der Schweiz haben es gut, und das sollten wir uns bewusstmachen», sagt sie. Noch werden zu viele Lebensmittel weggeworfen und verschwendet und können nicht den Menschen, die in Armut leben, überreicht werden.
Sarah wünscht sich für die Zukunft etwas mehr Geld, aber vor allem mehr Miteinander und weniger Egoismus in der Gesellschaft. Ein persönlicher Traum wäre es, irgendwann eine eigene Familie zu haben. Doch aktuell sieht sie keine Möglichkeit, aus ihrer Situation herauszukommen. Sie ist derzeit nicht fähig, zu arbeiten, da der Druck für sie auch im zweiten Arbeitsmarkt zu gross ist. «Es fiel mir anfangs schwer, zum 'Tischlein deck dich' zu gehen», erinnert sie sich. Heute hat sie ihre Hemmungen überwunden und akzeptiert ihre Situation. «Damit muss ich leben.»
Von Benjamin Schmid
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