Andrea Isler
lädt zu ihrer ersten eigenen Kunstausstellung in die Villa bleu ein.
Das alte Heinrichsbad vor 1832, Aquatinta von Johannes Schiess. z.V.g.
Das Heinrichsbad in Herisau, an der Stadtgrenze zu St.Gallen, wird als Standort von Heimen 200 Jahre alt. 1873 wurden die ersten Gebäude für die christlich ausgerichtete Bade- und Molkenkur-Anstalt bezogen, die eine neue Blüte brachte. Heute gehört das Areal der Stiftung Leben im Alter Herisau, die individuell angepasste Wohnformen für alte Menschen bietet.
Kurgeschichte Die Gegend des heutigen Heinrichsbades war schon vor Errichtung von Bauten für den Kurbetrieb stark begangen. Sie diente den Lustbarkeiten des 19. Jahrhunderts. Hier wurden Tanzfeste, Märkte, Darbietungen von Schützen, Maskeraden und Sennenbälle durchgeführt. Es entstand ein Badeweiher, denn schon früh wurde die Beobachtung gemacht, dass eine heute verschwundene Quelle mineralhaltige Heilkraft besass und sich gegen Leiden wie Rheuma, Gicht und Hautausschläge bewährte. Im Jahr 1768 ist im «Walsers Schweizeratlas» das Gebiet mit einer Badewanne gekennzeichnet.
Vor 200 Jahren baute Heinrich Steiger von Flawil das nach ihm benannte Heinrichsbad, einen stattlichen Bau mit zwei Flügeln. Für die Kurgäste gab es 60 Zimmer. Für 30 Kutschen standen Remisen zur Verfügung. Schon damals wurden auch Molkenkuren angeboten, die eine immer grössere Bedeutung erlangten. Getrunken wurde der «Schotten», der nach Ausscheidung des festen Milchbestandes zurückbleibt und zur Hauptsache Salze enthält. Das sollte vor allem bei Verdauungsstörungen helfen. Eine Zeit lang waren auch Eselsmilchkuren beliebt. Der St.Galler Professor Peter Scheitlin lobte das Essen als schmackhaft und hob die ausgedehnte Parkanlage hervor. 1826 kamen König Wilhelm I von Württemberg mit seiner Gemahlin Pauline und Gefolge zum Kuraufenthalt.
Das neue Bad lockte die Bevölkerung in Scharen an, nicht nur Blaublütige. 1827 wurde daneben ein Schützenhaus mit zehn Ständen errichtet, von dem heute keine Spur mehr vorhanden ist. Schon 1828 kam es zu baulichen Erweiterungen, um mehr Gäste unterbringen zu können.
Anfangs der 1870er-Jahre tauchte die Idee auf, «auf der Basis christlicher Ausrichtung und möglichst ökologischer Begünstigung der Gäste» eine neue Kur- und Erholungsanstalt ins Leben zu rufen. Eine Gruppe Gleichgesinnter kaufte das Heinrichsbad und erklärte, sie wolle auf der Grundlage einer christlichen Hausordnung nachhaltige Erholung bieten in der Überzeugung, dass «bei dem Ernst und dem Kampf des Lebens geistige Sammlung und religiöse Vertiefung ebenso wichtig sind wie Ausspannung und Naturgenuss». Man stehe auf dem Boden des Evangeliums, aber ohne scharfes konfessionelles Gepräge. Dem Verwaltungsrat gehörten Persönlichkeiten aus der ganzen Schweiz an. 1930 erreichte das Aktienkapital 300'000 Franken.
Grosses Gewicht legte der Vorstand auf die richtige Wahl des Hausvaters, «der die Gabe besitzt, seinen Gästen nicht nur gesunde leibliche Speisen, sondern auch das Wort des Lebens als die wahre Seelenspeise zuzuteilen». Die Wahl fiel auf Rudolf Wenger (1831 bis 1899). Der als Lehrersohn in Bern Geborene war damals Pfarrer im Emmentaler Dorf Eriswil. Er wurde als «Kraftnatur, körperlich und geistig» bezeichnet und brachte das Heinrichsbad zu neuer Blüte. Der Andrang war erfreulich gross, an den Tischen hörte man die verschiedensten Sprachen. Dauergäste bildeten den eigentlichen Stamm der Hausgemeinde. Auch spätere Hausväter legten Gewicht auf die Pflege der Gemeinschaft beim, vor und nach dem Essen, mit Gesang und Musik, Gesellschaftsspielen und Ausflügen. Der geistlichen Erbauung diente der Gebetssaal. Bald schon mussten Ausbauten vorgenommen werden. So entstand 1903 die «Tanneck», die mit dem Haupthaus durch einen gedeckten Gang verbunden wurde. Die Heinrichsbad-Küche erlangte bald einen sehr guten Namen. Nach Rudolf Burckhardt, Pfarrer und Hausvater, wurde schon damals auf Nährwert und Bekömmlichkeit geachtet. Wert wurde auch auf gefälliges Anrichten «zur Lust für Auge, Nase und Gaumen» gelegt.
Zur Ausbildung wurden Kochlehrstellen mit Schlussexamen mit geladenen Gästen geschaffen. Gut besucht waren die Kochkurse der Küchenchefin Luise Büchi, die ihre Stelle im Heinrichsbad als Saaltochter begann. 1895 gab sie als Frucht ihrer praktischen Arbeit das Heinrichsbader Kochbuch heraus, das zu einem Bestseller wurde und etliche Auflagen erlebte. Es ist noch heute eine Fundgrube für alte Rezepte, die meist durchaus noch unserem heutigen Geschmack entsprechen.
Die 1903 erstellte Villa Tanneck beherbergte von 1921 bis 1949 eine private Augenklinik unter der Leitung von W.G Fröhlich. 1950 wurde die Villa in ein öffentliches Altersheim umgewandelt, nachdem das Areal von der Gemeinde übernommen worden war. Gleichzeitig richteten die Behörden im ehemaligen Kurhaus Heinrichsbad eine Reihe von Notwohnungen ein. 1955 lebten hier 71 Personen. 1970 konnte das Altersheim Heinrichsbad eingeweiht werden. Zusammen mit der Hemetli-Alterssiedlung und dem 1980 bis 1982 gebauten Pflegeheim entstand das Alterszentrum Heinrichbad.
Heute ist das Heinrichsbad Bestandteil der Stiftung Leben im Alter Herisau, die seit 2000 rund 80 Millionen Franken in eine zukunftsfähige Infrastruktur investiert hat. Sie bietet an verschiedenen Standorten, vor allem auch im Heinrichsbad, 240 Menschen ein selbstbestimmtes, sicheres Leben im Alter. Ende 2020 konnte der Neubau «Tanneck» mit 50 Wohnungen und einer eigenen Spitex eröffnet werden.
Von Franz Welte
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